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Der Oberste Gerichtshof hat entschieden

Der Oberste Gerichtshof hat in seiner Entscheidung vom 29.11.2021, 8 Ob 71/21f, das Geschäftsmodell der Customer Clouds beurteilt und ist mit ausführlicher Begründung zum Schluss gekommen, dass es sich schon aufgrund der Vertragsgestaltung um eine Verbrauchersache im Sinn des Art 15 Abs 1 lit c LGVÜ 2017 handelt, auch wenn der dortige Kläger als „Marketer“ andere Personen für die Beklagte angeworben hat.

Die ausführliche Begründung des OGH lautet auszugsweise:

[22] Bei sowohl privaten als auch beruflich-gewerblichen Zwecken dienenden Verträgen liegt ein Verbrauchervertrag dann vor, wenn der beruflich-gewerbliche Zweck derart nebensächlich ist, dass er im Gesamtzusammenhang des betreffenden Geschäfts nur eine ganz untergeordnete Rolle spielt (1 Ob 115/12m mwN; vgl RS0115822 [T1]). Bei gemischten Zwecken ist eine Gesamtbewertung geboten, bei der Inhalt, Art und Zweck des Vertrags sowie die objektiven Umstände bei Vertragsabschluss zu berücksichtigen sind (C-464/01, ECLI:EU:C:2005:32, Rn 44 und 47; Geimer in Geimer/Schütze, Europäisches Zivilverfahrensrecht4 EuGVVO Art 17 Rz 46).

[23] Die Beweislast dafür, dass in einem Vertrag der beruflich-gewerbliche Zweck nur eine ganz untergeordnete Rolle spielt, obliegt der Person, die sich auf den Verbrauchergerichtsstand beruft (RS0115822 [T3]), wobei die gegnerische Partei berechtigt ist, den Gegenbeweis zu erbringen. Ein non liquet geht nach der Rechtsprechung des EuGH zu Lasten des Vertragspartners des Verbrauchers, weil anderenfalls die Schutzregelung ihre praktische Wirksamkeit verlöre. Zu prüfen bleibt in diesem Fall nur, ob der andere Vertragspartner den nicht beruflich-gewerblichen Zweck des Geschäfts zu Recht deswegen nicht zu kennen brauchte, weil der vermeintliche Verbraucher durch sein eigenes Verhalten gegenüber seinem (zukünftigen) Vertragspartner bei diesem den Eindruck erweckt hat, dass er zu beruflich-gewerblichen Zwecken gehandelt hat (zu all dem C-464/01, ECLI:EU:C:2005:32, Rn 46 bis 53; Geimer in Geimer/Schütze, Europäisches Zivilverfahrensrecht4 EuGVVO Art 17 Rz 49 bis 54; Simotta in Fasching/Konecny2 Art 15 EuGVVO Rz 31 bis 36; jeweils mwN).

[26] 4. Zu Recht bemängelt der Kläger im Ergebnis allerdings, dass das Berufungsgericht bei der Beurteilung der Verbrauchereigenschaft bloß auf die von der Beklagten vorgegebene formale Vertragsgestaltung abgestellt und die damit verfolgte inhaltliche Zielsetzung außer Acht gelassen hat.

[27] Schon aus dem Bedingungswerk der Beklagten (insbesondere Punkt 3.1 der Zusatzbedingungen iVm mit Punkt 9. der Lyconet-Vereinbarung) geht bei objektiver Betrachtung hervor, dass durch den Erwerb von Rabattgutscheinen sogenannte Shopping Points generiert werden sollen, die zu einem (periodischen) Vergütungsanspruch für den „Marketer“ führen sollen (Punkt 9.3 iVm Punkt 9.5 der Lyconet-Vereinbarung). Um diese wiederkehrenden Vergütungen beziehen zu können, ist neben der Registrierung als „Marketer“ nur eine gewisse Mindestanzahl von „Shopping Points“ erforderlich, die auch allein durch den Kauf von Rabattgutscheinen erlangt werden können, wie in der Anlage 1 der Lyconet-Vereinbarung klargestellt wird („persönlichen Shopping Points aus … oder gekauften Rabattgutscheinen“). Weder ist der „Marketer“ zu irgendeiner Vertriebstätigkeit verpflichtet, noch ist die Anwerbung anderer „Marketer“ oder Mitglieder notwendigerweise Voraussetzung für einen Vergütungsanspruch bzw die Zuteilung von „Shopping Points“.

[28] Dieses Prinzip kommt auch in den Werbeaussagen der Beklagten in den (als ./G zum Bestandteil der Feststellungen erklärten) Informationsbroschüren zu den sogenannten Clouds zum Ausdruck, wonach die von Kunden der jeweiligen Cloud „durch ihre Einkäufe jeden Monat [produzierten] Shopping Points […] anteilig auf alle Sponsoren (teilnehmende Marketer)“ der jeweiligen Cloud im Rahmen monatlicher Zuteilungen verteilt werden sollen.

[29] Das Geschäftsmodell der Beklagten im Zusammenhang mit den Rabattgutscheinen lässt sich dahin zusammenfassen, dass der „Marketer“ durch den Erwerb der Rabattgutscheine an der regelmäßigen Ausschüttung von „Shopping Points“ teilnimmt, für die wiederum periodische Auszahlungen in Geld in Aussicht gestellt werden (Punkt 9. der Lyconet-Vereinbarung).

[30] Damit ergibt sich bereits aus den von der Beklagten selbst stammenden Angaben, dass der Erwerb von Rabattgutscheinen vom Interessenten nicht nur gleichsam zweckentfremdet als Kapitalanlage genützt werden kann, sondern vielmehr geradezu als Investmentform angelegt ist.

[31] Die Beklagte musste vor diesem Hintergrund bei Abschluss des Erwerbsgeschäfts redlicherweise den Eindruck gewinnen, dass es dem Kläger beim Kauf der Rabattgutscheine auf die Erzielung eines passiven Einkommens ankam und nicht auf deren Einsatz zu Marketingzwecken, den die Beklagte in Punkt 2.2 der Zusatzbedingungen beispielhaft anspricht, was sich allerdings in keiner Weise in den Informationsbroschüren zu den sogenannten Clouds (./G) widerspiegelt.

[32] Daran ändert nichts, dass die Beklagte für den Erwerb von Rabattgutscheinen die Anmeldung als „Marketer“ fordert (Punkt 2.1 der Zusatzbedingungen) und sich durch Akzeptanz ihrer Geschäftsbedingungen bestätigen lässt, dass der Marketer „im Rahmen einer gewerblichen Tätigkeit als selbständiger Unternehmer“ handelt (insbesondere Punkt 3.2 der Lyconet-Vereinbarung). Bei der Unterwerfungserklärung ihres Vertragspartners handelt es sich um ein reines Formalerfordernis, das von dessen tatsächlicher Tätigkeit völlig losgelöst ist. Auf die Fiktion der Unternehmereigenschaft kann sich die Beklagte schon deshalb nicht berufen, weil sonst durch entsprechende Klauseln in Geschäftsbedingungen der zwingende Verbraucherschutz umgangen werden könnte.

[33] Es schadet auch nicht, dass der Kläger Personen für die Beklagte angeworben hat (die seine Position in der sogenannten Lifeline hätten verbessern sollen; vgl Punkt 8. der Lyconet-Vereinbarung). Die Beklagte musste zum Zeitpunkt des Vertragsabschlusses davon ausgehen, dass die dem Kläger eingeräumte Berechtigung zum Tätigwerden als Vertriebsmittler für diesen bloß einen ganz untergeordneten Aspekt des mit ihr eingegangenen Rechtsverhältnisses darstellte. Jedenfalls kann aber bei dieser Sachlage keine Rede davon sein, dass die Beweismittel für den rechtlichen Schluss ausreichten, dass der Vertrag in nicht ganz unerheblichem Maße zur Deckung von Bedürfnissen diente, die der beruflich-gewerblichen Tätigkeit des Betroffenen zuzurechnen sind, sodass ein Verbrauchervertrag anzunehmen ist (vgl C-464/01, ECLI:EU:C:2005:32, Rn 50). Ein schützenswertes Vertrauen der Beklagten auf Erklärungen, die sie ihren Vertragspartnern – wie ausgeführt – pro forma abverlangt, besteht nicht.

[34] 5. Da bei einer Gesamtbetrachtung entgegen der Meinung des Berufungsgerichts eine Verbrauchersache im Sinn des Art 15 Abs 1 lit c LGVÜ 2007 vorliegt, war dem als Revisionsrekurs zu qualifizierenden Rechtsmittel des Klägers Folge zu geben und die angefochtene Entscheidung aufzuheben. Das Berufungsgericht wird im fortgesetzten Verfahren neuerlich über die Berufung der Beklagten zu entscheiden haben.

Diese Rechtsansicht hat der OGH in seinen Entscheidungen vom 6 Ob 119/21z, 6 Ob 146/21w, 4 Ob 179/21h und 5 Ob 223/21m bestätigt.

Somit haben 4 verschiedene Senate des OGH unisono entschieden, dass eine Verbrauchersache vorliegt.